18. Juni 2010

Eine indische Hochzeit und unser Fazit

Hallo,
ein letztes Mal ein Bericht von uns aus Indien.

Kurz vor unserer Abreise hatten wir das Glück auf einer Hochzeit eingeladen zu sein, das war echt noch mal ein Highlight!
Ein Inder geht übrigens im Jahr im Durchschnitt auf 15 bis 30 Hochzeiten! Die Hochzeit erstreckt sich ungefähr über eine Woche mit der engen Familie. Die große Feier mit den vielen Gästen findet an zwei Tagen statt.
Hochzeiten bedeuten hier auch immer: sehen und gesehen werden. Alle zeigen, was sie haben und wie hoch ihr sozialer Status ist. Die Männer tragen fette Golduhren und die Kleider der Frauen müssen teuer und schwer sein. Aber vor allem gilt es möglichst viel Schmuck zu besitzen. Die Hochzeit auf der wir waren, war die einer Upper-Class-Familie. In dem Fall trugen viele Frauen Schmuck für über eine halbe Mio. Euro! Und es waren auch nicht nur wie üblich 800-1000 Gäste, sondern 5000!!!


Abfahrt am nächsten Nachmittag mit dem Zug nach Chennai zum Flughafen:
Nach längerem Warten, endlich der Zug. Der Zug ist ungefähr einen Kilometer lang. Man überlegt bereits beim Einfahren, wo sich das eigene Abteil befinden könnte. Wie immer fragten wir mehrere Personen. Einem Hinweis folgend, schnappten wir unsere (sehr sehr schweren) Sachen und begannen, den Bahnsteig entlang zu hasten, in der Hoffnung, vor der Weiterfahrt das Abteil zu finden. Hoffnungsschimmer: Es muss wohl noch eine Weile dauern, bis der Zug abfährt, da vor jeder Tür der Holzklasse ungefähr 50 Menschen versuchen, sich neben-, über- und untereinander durch die Tür zu zwängen. Wenn man von außen einen Blick durch in den Zug wirft, wird einem der Grund für die Panik klar: Bereits vor Abfahrt sind alle Plätze überfüllt. Aber wir hatten ja unsere Plätze reserviert und am Ende hat dann doch noch alles gut geklappt.

Übrigens dachten wir ja immer, im Süden bleiben wir vor Terroranschlägen verschont. Bis wir eine Woche nachdem wir in Indien verlassen haben, von einem Bombenattentat auf genau den Zug gehört haben, den wir ein paar Tage zuvor genommen hatten!

Von Chennai aus flogen wir nach Sri Lanka. Eigentlich war nur eine Woche geplant. Aber leider gab es Probleme mit dem Visa, so dass Niewo für zwei Monate nun nicht mehr nach Indien darf. Unsere ganzen schönen Pläne also im A….! Total ärgerlich, da sinnlos :-(
Nun ja, nun verbringen wir 3 ½ Wochen im wunderschönen Sri Lanka und werden dann schon Ende Juni wieder in Berlin sein. (Haben wir wenigstens noch einen Grund, irgendwann nochmal nach Indien zu reisen.)
Unsere Wiederkehr-Party findet dann also schon am 3. Juli statt.


Noch ein paar Sachen, die wir in den letzten Berichten noch nicht erzählt hatten:

Aus Respekt den Älteren gegenüber, darf die Schwiegertochter nie vor dem Schwiegervater sitzen. Sie führt auch nie ein Gespräch mit ihm, höchstens die Frage „Noch Tee?“ o.ä. ist erlaubt!
Das bedeutet dann z.B. (alle Frauen ziehen ja nach der Hochzeit zu der Familie des Mannes, leben also ihr Leben lang zusammen mit ihrem Schwiegervater in einem Haus/Zimmer), dass nie zusammen gegessen wird. Die Schwiegertochter (meist hilft die Schwiegermutter auch) kocht und serviert das Essen und wenn alle fertig sind, essen sie allein in der Küche. Das ist eine Sache, die wir überhaupt nicht verstehen: Familie ist das wichtigste und sie können sich nicht vorstellen, dass Europäer alleine wohnen, aber letztendlich „lebt man nicht zusammen“, sondern nur in einem Haus.


Callcenter in Indien sind inzwischen ja ein alter Hut. Heutzutage werden Studentenarbeiten von billigen Indern kontrolliert. Da sich die Universitäten (bisher nur in den USA, aber kommt bestimmt bald auch woanders) die teuren Professoren- oder Assistentenstunden nicht mehr leisten können, werden auch diese Felder ausgesourct. Irgendwie ne komische, aber logische Sache.
Link Artikel Tagesschau


Noch einige Fakten aus einem Buch, die Niewo noch loswerden muss:

Es gibt in Indien (in)offiziell Morde durch die Polizei. Da die Gerichte total überfordert sind und Prozesse teilweise 10 Jahre dauern (und Korruption und Einschüchterung herrschen, die Zeugen beseitigt werden etc.), werden besonders schlimme Angeklagte (Mehrfachmord, Mafia, Terroristen) teilweise einfach liquidiert. Natürlich nicht offiziell, aber eigentlich weiß jeder, dass es sowas gibt!

Es gibt noch immer jedes Jahr hunderte Tote durch Gewalt gegen die Unberührbaren-Kaste. Zwar ist es nicht mehr so schlimm, wie in der Vergangenheit, als sowas gang und gäbe war, aber noch immer werden Gewalttaten, auch durch die Polizei, an den Dalits so gut wie nie verfolgt.

In Indien regieren meist Koalitionen aus vielen vielen Parteien, aktuell 24! Noch immer wählen die meisten nach ihrer Kaste, nicht politischen Über- legungen. Und das Hauptziel jeder Partei besteht meist nur darin, möglichst viele Stellen im öffentlichen Dienst für Ihresgleichen zu schaffen.

Es gibt eine Partei, die BJP, die sich als National bezeichnet – bei uns würde man sagen sehr sehr weit rechts. Ihr Hauptziel besteht darin, die Trennung von Staat und Religion aufzuheben und den Hinduismus als Politikgrundlage einzuführen.
Als sie in den 2000er Jahren an der Macht war, wurden Schulbücher umge- schrieben, Wissenschaftler und Universitäten „sortiert“ etc.! Die Menschen sollen glauben Indien = Hinduismus und Hinduismus = Indien. Für alles andere ist kein Platz und besonders nicht für die 200 Mio. Muslime.
Die BJP unterhält auch eine Untergruppierung, die RSS, die sich offiziell am europäischen Faschismus orientiert. So gibt es z.B. „Wehr- und Jugend- gruppen“ mit Uniformen wie die italienischen Faschisten, die sich täglich treffen und „Übungen“ durchführen, Lieder singen, die „nationale Geschichte“ lernen sowie „Charakterbildung“ betreiben. Die Mitgliedszahl dieser Gruppen liegt inzwischen bei über einer Million!
Die Partei bzw. ihre Anhänger sind in den letzten Jahrzenten für hunderte Massaker und Anschläge (auch auf Regierungsmitglieder und Präsidenten) verantwortlich.
Diese ziehen natürlich wieder Racheakte nach sich und so kommt es, dass in Indien seit der Unabhängigkeit Zehntausende (!) bei Anschlägen und Unruhen zu Tode kamen.

Traurig an der Korruption der Polizei ist, dass sie immer die Armen trifft. In die Kontrollen auf der Straße geraten immer nur Rikshafahrer und kleine Lieferwagen, die dann Schmiergeld zahlen müssen. Nie würde sich ein Polizist trauen, ein teures Fahrzeug anzuhalten.

In Indien kann man eine Prostituierte haben für grade mal 25 Cent!



Fazit acht Monate Indien:
Indien ist wirklich nicht nur ein anderes Land, sondern eine komplett andere Welt.
Hier herrschen völlig andere Wertvorstellungen und Lebensweisen. Traditionen und Wertschätzen von Status und Ehre sind ja schön, aber doch eigentlich nur, wenn die Menschen die Traditionen auch mögen. Von den Meisten werden sie gar nicht in Frage gestellt, obwohl sie kein schönes Leben versprechen. Manche hinterfragen sie aber doch und merken, dass sie vieles so nicht gut finden, sind aber trotzdem gezwungen so zu leben UND vor allem: ihre Kinder lassen sie es dann auch nicht anders machen!
Man sieht aber immer wieder: je gebildeter die Menschen sind, desto mehr ändert sich. In den Großstädten und vor allem größeren, internationaleren Firmen, vollzieht sich ein enormer Wandel.
Wobei man nicht vergessen sollte, wie es bei uns noch vor wenigen Jahr- zehnten war und teilweise ja auch noch ist. Wer kennt z.B. eine Arzttochter, deren Eltern es nicht verhindern würden, wenn sie einen arbeitslosen Straßenmusiker heiraten möchte. Die „Schichten“ in Deutschland bleiben doch auch meist unter sich. Und genauso die Lebensweisen und Denkmuster.


Indien ist nicht ein Land zwischen Tradition und Moderne, sondern ein Land mit Tradition und Moderne.
(Wir wollen auf keinen Fall so verstanden werden, dass wir denken unsere Werte sind die Besten und alle Menschen sollen so leben wie in Westeuropa, aber es sollten alle Menschen so leben, dass sie glücklich werden können und im Stande sind, so zu leben wie sie es selbst wollen.)

Am Ende unserer Zeit muss noch gesagt werden: Wenn man unsere Berichte liest, bekommt man wahrscheinlich Zweifel daran, was an den Klängen, Gerüchen, Menschen etc. in Indien so großartig sein soll. Wir hatten daran auch oft Zweifel. Dennoch: Wir bereuen nichts. Es war eine schöne Zeit mit anstrengenden Situationen aber dafür tollen und einzigartigen Erlebnissen!!!

Worauf wir uns jetzt freuen: Familie und Freunde, deutsches Essen, endlich zusammenziehen, angenehme Temperaturen, Sport, städtisches Leben.
Was wir vermissen: das süße Kopfwackeln der Inder, Kokosnusssaft, das Meer, eine neue Welt kennenzulernen, private Fahrer, unsere Putzfrau und Köchin.
Was wir nicht vermissen: das unendliche Gewusel auf den Straßen aus unzähligen Menschen, Rickshaws, Fahrrad-Rickshaws, Lauf-Rickshaws, Motorrädern, Mofas, kleinen und großen Transportern, Autos, LKWs, Bussen, Kutschen, Fahrrädern, Traktoren, Kühen, Pferden, Ziegen, Hunden, …

Fotos 18: indische Hochzeit und Fazit


lg L+N