21. Dezember 2009

Dinner, Gesellschaft, Kodagu Region

Hallo,
kurz vor Weihnachten noch einmal eine Meldung von uns, damit ihr uns über die Feiertage nicht vergesst. Diesmal (aufgepasst: es folgt ein etwas längerer Text) ein paar Fotos von unserem ersten „Dinner“ bei einer indischen Familie, Wissenswertes aus der indischen Gesellschaft und ein kurzer Ausflug in die Welt der Botanik …

Hier läuft alles wie gewohnt. Arbeit ist okay, langsam sind die Abende aber etwas langweilig. Es gibt hier einfach nix zu machen. Jegliche Cafés, Bars, Museen, Ausstellungen oder Circusshows, die uns empfohlen werden, gibt es entweder nur einmal im Jahr, schließen um 22 Uhr bzw. werden außer von uns von Niemandem besucht, so dass der Spaßfaktor irgendwie nicht soo dolle ist.

Letztes Wochenende war ja Konrad (Lauras Bruder) hier. Zusammen sind wir in die Kodagu Region gefahren (250km nördlich). Das war richtig schön. Wir haben das Glück, eine 5-Tages-Woche zu haben und Laura kann ihre Kurse auch intern schieben, Niewo bekommt auch mal einen Tag frei. So können wir die Wochenenden gut für Trips nutzen, da unter der Woche Arbeiten angesagt ist.

Am Samstag waren wir das erste Mal bei einer Arbeitskollegin (Lakshmi) von Laura eingeladen. So etwas findet hier immer nur Samstag abends oder sonntags statt. Durch die 6-Tage-Woche und die langen Arbeitszeiten (10h) haben die Leute wenig Zeit. Vor allem für Ihre Familie. Wie ja schon erzählt, haben sie ja auch nie (!!) Urlaub. D.h., die wenige Zeit wird immer freudig erwartet und für die Familie genutzt. Was wir nicht ganz verstehen ist der Grund. In westlichen Ländern ist das Geld entscheidend, Arbeitszeit ist teuer, daher wird intensiv und viel gearbeitet. Hier ist das ja anders, man sitzt viel rum und ist wenig produktiv. Bei Niewo auf Arbeit sitzen manche teilweise stundenlang rum und gucken gegen die Wand! Das muss man sich mal vorstellen, spätestens nach 10min würden wir durchdrehen! Jedenfalls, denkt man so, könnte das ganz anders laufen, so dass das Leben hier den Leuten viel mehr bieten würde.

Dazu kommen die alten Traditionen, die zwar seit 1000en Jahren funktionieren, aber eigentlich von vielen, mit denen man spricht, nicht gerade positiv bewertet werden. Hier merkt man wirklich mal, was Globalisierung bedeutet. Seit ungefähr 10 Jahren, seit dem Internet, verändert sich ein uraltes Gesellschaftssystem komplett. Nicht wie bei uns, wo es zwar kleine Veränderungen gibt, aber eigentlich alles so ungefähr bleibt wie es ist. Bis vor 10 Jahren war es noch so, dass das Kastensystem alles bestimmte. Die vier Hauptkasten gliedern sich in hunderte Untergruppen auf. Die Zuordnung zu einer Kaste sagt nichts über „wohlhabend“ oder „arm“ aus. Es handelt sich weitgehend um eine Einteilung nach ritueller Reinheit und Aufgabenbereich, nicht jedoch um „Oberschicht“ oder „Unterschicht“, die sich nach finanziellen Kriterien richtet.

Nach Horoskopen (Geburtsstunde usw. + Kastenzugehörigkeit + Religion etc.) werden von den Eltern des Mannes passende Braut-Kandidatinnen gesucht. Diese stellen sich dann in Anwesenheit aller vor und der Mann darf dann entscheiden, ob und welche der Damen er nimmt. Die Frau hat nur in Ausnahmen Entscheidungsrechte. Dies führt dazu, dass viele Menschen in Ehen leben, die nicht auf Liebe basieren. So führen viele ein Leben, dass sie nicht glücklich macht. Probleme zwischen Männern und Frauen gibt es hier viel stärker als bei uns.

Je nachdem wie der Ehemann bzw. die Eltern des Mannes so drauf sind, haben die Frauen mehr oder weniger Entscheidungsfreiheit, was ihre Kleidung, Beruf etc. betrifft.
Die Kasten bestimmen ebenfalls Berufswahl, wer mit wem isst, redet usw.
Männer heiraten ungefähr mit 28, Frauen mit 24 Jahren. Nach der Heirat zieht die Frau in das Haus des Mannes, also zu dessen Familie (Großeltern, Brüder + deren Familien, oft Onkel etc.). Dafür lädt man 1000 – 1500 Gäste ein! Lustig ist dabei, dass es wohl keine offiziellen Papiere gibt bei einer Eheschließung. Der Staat weiß also gar nichts davon. Nur wenn man ins Ausland reisen möchte (unbezahlbar für 99,9% der Inder), besorgt man sich eine Urkunde. Die meisten Menschen kommen aber nicht mal aus ihrem Bundesland heraus.

Seit es das Internet gibt, wollen die jungen Leute in den Großstädten ein anderes Leben führen. Man hat auch schon vor dem 24. Lebensjahr eine Freundin oder einen Freund, sucht sich seinen Partner fürs Leben nach Sympathie und Liebe aus und lernt sich auch vorher kennen. Die Mädchen studieren, suchen sich Jobs, die sie mögen, wählen ihre Kleidung selbst aus usw. Bisher war es so, dass man nach der Heirat Sari tragen musste. Jetzt tragen auch Verheiratete Salware. Studentinnen tragen auch Jeans und T-Shirt. Allerdings, sobald man im Berufsleben ist, nicht mehr. Niewos Chef meinte, wenn sie das täten, würden sie auf der Straße begrapscht werden und Männer würden ihnen sogar ins Büro folgen! Völlig unglaublich!

Jedenfalls hören die Leute in den kleineren Städten (wie unsere) und auf dem Land natürlich auch von diesen Entwicklungen. Langsam verändern sich die Dinge dann auch hier.

Ob man dies nun gut oder schlecht findet, sei jedem selber überlassen. Lakshmi hat uns jedenfalls erzählt, dass ihr Sohn später mal völlige Entscheidungsfreiheit haben soll, damit er ein glückliches Leben führen kann (obwohl ihr Mann dagegen ist…).

Niewos Chef, Mr. Anjaneysh, ist sehr religiös (man darf z.B. einen Raum nur mit dem rechten Bein betreten). Daher erfährt er von ihm viel über die Dinge hier in Indien. Niewo ist aber auch immer etwas amüsiert, da er ihm komische Fragen stellt („Trägst du einen Gürtel?“). Generell merkt man, dass die Leute von Deutschland bzw. dem Rest der Welt nicht viel Ahnung haben. Aber Anjaneysh ist auf alle Fälle sehr interessiert an dem Leben in Deutschland.

Außer den Studenten, verwenden die Leute hier kaum das Internet. So verbietet (!) z.B. Anjaneysh seinen Angestellten die Benutzung dessen. Er ist der Ansicht, dass sie die Dinge/Bilder, die sie dort lesen/sehen würden, (noch) nicht verarbeiten können (er meint damit keine Pornos oder so). Krass. Die meisten können hier eh kaum oder kein Englisch. Außer in den Großstädten, fördert die Regierung keinen englischsprachigen Unterricht. Laut Aussagen dient dies dazu, die Bevölkerung dumm zu halten! Daher schicken viele Leute, wenn es Ihnen möglich ist (also sehr sehr wenigen), ihre Kinder auf Privatschulen (so wie Lauras Schule). Viele Inder erkennen also, dass man sein Leben selbst verändern kann. Besonders gilt das für die eigenen Kinder. Durch die Bildung erhalten sie ganz andere Chancen. Man muss nicht nur das sein und bleiben, als was man wiedergeboren wurde.

Wenn wir erzählen, dass wir in Deutschland mit Freunden, dem Partner oder gar mit fremden Menschen (WG) zusammenziehen und nicht mehr bei unseren Familien wohnen, werden wir ganz ungläubig angeschaut. Die Inder können gar nicht verstehen, warum wir nicht mehr zu Hause wohnen und denken dann gleich, dass wir kein gutes Verhältnis zu unseren Familien haben. Dass man mit 18 oder so auszieht ist ihnen völlig fremd.

Wir wollen ja kein extrem negatives Bild von Coimbatore/Indien zeichnen, aber zu diesen ganzen Dingen kommt hinzu, dass hier nie getanzt wird. Wieso, wissen sie eigentlich selber nicht. Kinder und Schüler bis 12 Jahre machen dies noch in der Schule, danach dann nie wieder.

UNSERE Freuden (Wein, Weiber und Gesang) kennen sie hier also gar nicht.
Der Fernseher verrät uns, dass hier alle „weiß“ sein wollen. So gibt es zig Werbungen mit Aufhellungscremes und natürlich sind die meisten Schauspieler viel heller als die Bevölkerung es hier eigentlich ist.

Puuuuh, das war viel Input, aber ihr sollt ja auch was lernen :-)

So, da bald Weihnachten ist, haben wir ja noch einen Wunsch frei *g* Da wir hier so wenig von euch mitkriegen, schreibt uns mal ganz fleißig wies euch geht und was ihr so treibt (wir meinen die, die sich jetzt angesprochen fühlen!). Das wär toll!!

Wir werden Weihnachten nach Bengalore fahren – Heiligabend auf Arbeit und dann im Nachtbus hat doch auch mal was. Silvester gehts dann das erste Mal an die Küste, jippiiieh!

Fotos 07: Dinner, Gesellschaft, Kodagu Region

Es grüßen ganz lieb,
N+L