Hiho,
Stellt euch vor ihr seid Inder. Ihr seid 22 Jahre alt und ihr seid noch nie aus eurer Stadt rausgekommen. Nun seid ihr mit eurer Sportmannschaft in Südindien und das erste Mal am Strand. Einer eurer Kumpels hat eine neue Digitalkamera! Dann seht ihr auch noch zwei Weiße und das Mädchen ist nur ganz knapp bekleidet! Logisch, dass ihr die beiden ansprecht, ganz viele Fotos macht und die nächste Zeit nicht mehr von deren Seite weichen wollt…
Stellt euch vor ihr seid zwei Deutsche in Indien. Die Städte sind laut, dreckig und staubig. Am Wochenende seid ihr nach drei Monaten endlich mal wieder am Strand. Die Sonne scheint, es ist superheiß, man kann nur im Schatten vor sich hinvegetieren. Das Wasser ist pupswarm. Es ist so gut wie niemand am Strand. Eine Gruppe Jungs läuft vorbei und fragt woher ihr seid etc. Wie immer ist man freundlich, unterhält sich ein wenig. So weit so gut. Nervig wird es dann, als sie einfach nicht mehr gehen, nonstop Fotos machen (dabei u.a. mit jedem aus der 22-köpfigen Gruppe ein Einzelbild!) und jeder dieselben zwei, drei Sätze auf Englisch in einer Endlosschleife wiederholt. Irgendwann geht man dann einfach und legt sich woanders hin. Was taucht am Horizont auf? Die nächste Gruppe!
Das sind die Probleme, die man so hat, wenn man an Strände fährt, wo fast nur einheimische Touristen sind…
An den letzten Wochenenden waren wir natürlich wieder unterwegs. Es ging nach Kerala (Werbespruch: „God’s own country.“), dem Bundestaat westlich von uns. Den Küstenstaat unterscheidet einiges – etwa in Hinblick auf Bildung und Wohlstand – von allen anderen Regionen Indiens. In Kombination mit der bezaubernden Landschaft und dem tropischen Klima, ist es nicht verwunder- lich, dass sich die 33 Mio. Einwohner als „auserwählt“ fühlen. Die Städte machen einen aufgeräumten, moderneren und weniger heruntergekom- menen Eindruck. Zu verdanken ist dies unter anderem einer konsequenten Agrarreform und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der kommunistischen Regierung (1957 ging hier weltweit erstmals eine kommunistische Partei als Sieger aus freien Wahlen hervor). Hinzu kommen die Überweisungen der vielen Verwandten, die im Ausland arbeiten. Weit vorne liegt man auch in puncto Alphabetisierung (90,9 %) und Lebenserwartung (73,5 Jahre). Dazu ist die Natur wirklich extrem schön, Kerala bedeutet wörtlich „Land der Kokos- palmen“. Mehr Postkartenidylle geht nicht! Seit Jahren wächst deshalb der Tourismus- sektor von Jahr zu Jahr, zumindest direkt an der Küste...
Wie stark sich Indien verändert, merkt man immer erst, wenn man Berichte von vor 20 oder 10 Jahren liest. Damals haben noch 90% der Menschen von unter einem Dollar am Tag gelebt! Der Anteil an völliger Armut geht seit dem kontinuierlich zurück. Das Bildungs-, Infrastruktur und Gesundheitswesen ist auf einem guten Weg. Mann kann also sagen, die indische Regierung macht eigentlich – die letzen Jahre! – fast alles richtig.
Und nicht nur das, wenn man die sich wachsende Mittelklasse in den größeren Städten heute anguckt, dauert es noch ein, zwei Generationen, dann ist Indien in großen Teilen nicht mehr zu unterscheiden von anderen Teilen der Welt, was Konsum und solche Dinge betrifft (natürlich noch lange nicht zu vergleichen mit Deutschland). Wobei das alles von Staat zu Staat unter- schiedlich ist – wieder ähnlich wie in Europa. Manche Staaten zählen, einzeln betrachtet, zu den absolut ärmsten Gegenden der Welt, andere, siehe Kerala, sind deutlich weiter…
Ansonsten: Unsere neue Köchin kocht so scharf – Alta! Laura kann Manches gar nicht essen und selbst Niewo, der gerne scharf isst und sich in Indien an die extreme Schärfe gewöhnt hat, bekommt manchmal nach einem Haps Kopf- und Bauchschmerzen…
Niewo wird die Sache mit der Reiseagentur jetzt erstmal machen. Nächste Woche fliegt er nach Jaipur und wird dann dort in das Tourismuswesen eingeführt. Was in den zwei bis vier Wochen konkret bei rumkommt wird man dann sehen…
Heute hat uns eine Bekannte erzählt, was sie letztes Jahr am meisten an ihrem Deutschlandurlaub (in der Stadt Brandenburg übrigens?!!) genossen hat: das tägliche, stundenlange Spazieren gehen. Sowas kannte sie vorher gar nicht. Und vor allem (als Frau) auch noch alleine. Ohne dann gleich angeguckt zu werden…
Fotos 14: Backwater, Kovalam, Kodaikanal
lg N+L
PS: Es gibt es noch eine Neuigkeit zu berichten:
Wir werden Ende Juli wieder in Deutschland sein. Wir kürzen die Sache um fünf Monate ab, anstatt Weihnachten werden wir dann schon nach zehn Monaten zurück sein. Gründe: Niewos Jobsituation und vor allem reichts einfach auch. Wir haben nun schon so viel vom Land gesehen und es ist nach wie vor faszinierend Leute und Kultur kennenzulernen, aber zu Hause ists halt schöner...
PPS: Die Leute, die uns hier besuchen wollten: bitte mailt uns mal zwecks Absprache von eventuellen neuen Zeiträumen